Regional

Slow Food für die Ernährungswende

Ausgabe - EWV Energie- und Wasser-Versorgung GmbH

„Slow Food steht im Zeichen der Schnecke – aber das hat nichts damit zu tun, dass wir unser Essen langsam garen oder dass wir besonders langsam essen“, schmunzelt Gaby Kaus. „Wir sind auch kein Gourmet-Verein, sondern bei uns geht es um das bewusste Genießen.“ Genuss ist bei Slow Food ein ganz zentraler Begriff. Denn der Verein setzt sich für das Thema Ernährung ein und achtet dabei auf drei Kriterien: „Gut, sauber und fair muss es sein“, bringt es Anja Schmid auf den Punkt.

Das ist der Kern von Slow Food und der Regionalgruppe „Convivium Aachen“, die sich einmal monatlich trifft, um vielfältige Projekte zu planen und umzusetzen. Gaby Kaus und Anja Schmid erzählen als Mitglieder des Leitungsteams zum Beispiel von Kochwerkstätten im Helene Weber Haus in Stolberg, die den Teilnehmenden die Zubereitung von leckerem saisonalem Gemüse aus der Region näherbringen. Doch Slow Food gibt es nicht nur in unserer Region: Weltweit engagieren sich Millionen Menschen aus mehr als 160 Ländern für die Ernährungswende im öffentlichen und privaten Bereich. In Deutschland gibt es mehr als 85 Convivien, also Regionalgruppen – die Aachener Gruppe ist rund 90 Mitglieder stark.

ewv regiomagazin slowfood stolberg

Bewusstes Genießen

Anja Schmid erinnert sich noch gut an ihre Begegnung mit Slow Food Deutschland: „Ich habe das Slow Food Magazin in einem Zeitungsladen entdeckt und gedacht: Wow, das ist genau das, was mir wichtig ist. Die Verbindung zwischen Umweltthemen, Ernährung, Genuss, Wertschätzung aller Aktiven in der Wertschöpfungskette – von der Gemüsebäuerin bis zu den Betrieben, die Fleisch verarbeiten … Hier kann ich politische Ziele mit meinem persönlichen Interesse vereinbaren, gutes Essen zu haben.“

Dabei geht es den „Slow Foodies“ nicht nur darum, dass Nahrungsmittel fair und umweltschonend produziert werden, um die gemeinsamen Lebensgrundlagen nicht zu zerstören und die Gesundheit der Menschen zu erhalten. Ihnen ist gleichzeitig wichtig, dass gute Lebensmittel für alle Menschen zugänglich und bezahlbar sind. „Wir wünschen uns, dass der Mehrwert belohnt wird, den eine ökologische und regionale Produktion schafft“, verdeutlicht Anja Schmid. „Dagegen sollten Produkte, für die Raubbau an Mensch, Gesellschaft und Umwelt betrieben wird, teurer werden.“

Gaby Kaus ist über das Thema Kochen zu Slow Food gekommen – schon vor 20 Jahren. „Mir geht es um die Verwertung und vernünftige Verarbeitung von Lebensmitteln“, sagt sie. „Viele Leute kochen ja gar nicht mehr selbst und wissen nicht, was eine Sellerieknolle ist oder wie ein Wirsing schmeckt. Auch das möchten wir gern ändern.“

Jenseits der Kohlroulade

Leckere Gemüsesorten kennenlernen und direkt selbst verarbeiten – das ist bei der Kochwerkstatt „Jenseits der Kohlroulade“ möglich, die Gaby Kaus im Helene Weber Haus in Stolberg anbietet. Der nächste Termin ist am 29. September und steht allen Interessierten offen. „Große Vorkenntnisse sind nicht nötig, eine Schürze und eine Dose zum Mitnehmen der Reste reicht“, verspricht die begeisterte Hobbyköchin.

Weitere Termine sind in Planung – zum Beispiel ein Kochkurs für Studierende (Vorschau von Anja Schmid: „Einmal kochen, dann variieren und fünf Mahlzeiten ‚to go‘ daraus machen!“), eine Kräuterwanderung, bei der es um essbare Wildpflanzen geht, und auch Besuche zum Beispiel von Betrieben in der Region, die nachhaltige Nahrungsmittel gut, sauber und fair produzieren.

In einem besonders weitreichenden und schönen Rahmen produzieren die Mitglieder von Slow Food Aachen übrigens auch selbst Gemüse und unterstützen damit das internationale Projekt „10.000 Gärten für Afrika“. Anja Schmid ist begeistert: „Das ist wirklich ein tolles Projekt, um das sich unsere Slow Foodies Anne Klasen-Habeney und ihr Mann Achim kümmern. Hinter ihrem Haus im Zentrum von Aachen sollte vor ca. 25 Jahren eine Tiefgarage gebaut werden – mit der Auflage, das Dach zu begrünen. Da haben die beiden sich bei dem Eigentümer mit dem Vorschlag gemeldet, dass sie die Begrünung der großen Fläche von 1.000 Quadratmetern übernehmen und sich auch um den Unterhalt kümmern. Und jetzt gibt es dort einen Gemüsegarten, der alle mit den Ohren schlackern lässt.“

Regiomagazin der EWV - slowfood

Ernten für alle

Der Garten ist zwischen Mai/Juni und September/Oktober einmal wöchentlich für alle Menschen zugänglich, die dort Gemüse selbst ernten möchten – jeden Mittwoch von 18 bis 19:30 Uhr ist das Tor offen und jeder willkommen. „Da steht dann auch eine Spendenbox“, weist Gaby Kaus auf den Mehrwert des Gartenprojekts hin. „Wer erntet, darf auch etwas spenden – und damit unterstützen wir Gemeinschafts- oder Schulgärten in Afrika. Über dieses Projekt haben wir schon zehn Gärten finanziert, in Marokko, Kenia, Tansania und Mali. So groß ist die Spendenbereitschaft, das ist wirklich toll.“

Viele Menschen gemeinsam können eben viel bewirken – deshalb wünscht sich auch die Slow Food Regionalgruppe Aachen noch mehr aktive Mitglieder. Über die Website des Vereins ist ein Mitgliedsantrag einfach möglich – auch Gaby Kaus und Anja Schmid stehen für Anfragen gern zur Verfügung (Kontakt: s. u.). „Der Verein bietet eine tolle Möglichkeit, sich für nachhaltige Ernährung zu engagieren“, findet Anja Schmid. „Und keine Angst: Wer bei uns mitmachen will, muss dafür nicht in jeder Lebenssituation perfekt nachhaltig agieren. Jeder Schritt in die richtige Richtung ist kostbar. Wir fragen beim Kennenlernen nicht: ‚Wie heißt das Huhn, das deine Eier legt? Wie oft in der Woche isst du Fleisch? Wo bekommst du es her?‘ Wir haben grundsätzlich auch nichts dagegen, dass man Fleisch isst – nur sollte man sich der Zusammenhänge bewusst sein. Jeden Tag Billigfleisch essen, auf Kosten unserer Gesundheit, der Umwelt und der Tiere, das geht einfach nicht. Damit fahren wir den Karren an die Wand.“

Arche des Geschmacks

Dann lieber regionale Lebensmittel (wieder) entdecken – vielleicht sogar solche, die vom Aussterben bedroht sind. So wie die Münsterbirne, die es als Passagierin in die „Arche des Geschmacks“ der Slow Food Stiftung für Biodiversität geschafft hat. Diese Aktion schützt weltweit regional bedeutsame Lebensmittel, Nutztierarten, Kulturpflanzen und traditionelle Zubereitungsarten vor dem Verschwinden. „Es ist wichtig, dass die alten Sorten bewahrt werden“, betont Gaby Kaus. „Sonst haben wir immer nur diesen Einheitsbrei, immer nur Williamsbirnen zum Beispiel.“ Weil die Münsterbirne an einem sehr großen Baum wächst, der schwer zu ernten ist, und gleichzeitig als Frucht selbst eher klein ausfällt, ist sie in unserer Region fast in Vergessenheit geraten. „Iss, was du retten willst“, erklärt Anja Schmid den Ansatz. „Wenn wir die alten Sorten wieder wertschätzen und nutzen, können wir mehr Vielfalt auf dem Teller genießen.“ Der Genuss – da ist er wieder.

Slow Food zeigt, dass eine nachhaltige und faire Ernährung nichts mit Verzicht zu tun haben muss. Wer sich davon selbst überzeugen möchte, ist zum Mitmachen ausdrücklich eingeladen.

Website Slow Food Deutschland: www.slowfood.de
Kontakt Convivium Aachen: aachen@slowfood.de
Gaby Kaus: Mobil 0176 43679659
Anmeldung zur Kochwerkstatt im Helene Weber Haus Stolberg: www.heleneweberhaus.de - (Rubrik Kurse / Genuss)

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